Neue Sachlichkeit

Neue Sachlichkeit
Neue Sachlichkeit,
 
1) Kunst: von G. F. Hartlaub 1923 geprägter Begriff für eine in den 20er-Jahren in Deutschland entwickelte Richtung, für die eine objektive und präzise Realitätswiedergabe charakteristisches Anliegen war. Die Überschärfe und die starke Betonung der Gegenständlichkeit unter Ausschaltung von Licht und Schatten in vielen Werken lässt oft eine magische Wirkung entstehen (magischer Realismus). Die Möglichkeiten der Neuen Sachlichkeit umfassen sowohl eine kubistisch bestimmte, von der Form her monumentalisierte Auffassung (A. Kanoldt, G. Schrimpf) als auch eine sozial engagierte Gesellschaftskritik (O. Dix, G. Grosz). Weitere Vertreter der Neuen Sachlichkeit sind R. Schlichter, K. Hubbuch, A. Räderscheidt, C. Mense, G. Scholz, Heinrich Davringhausen (* 1894, ✝ 1970), F. Radziwill, C. Grossberg, C. Schad, Ernst Thoms (* 1897, ✝ 1983) und Grethe Jürgens (* 1900, ✝ 1981). Die sachbezogene, an der zivilisatorischen Umwelt orientierte veristische Darstellung ist als künstlerische Ablehnung des subjektiven Expressionismus zu werten. Sie wurde wesentlich durch die Pittura metafisica beeinflusst. Ähnliche Tendenzen zeigten sich in der europäischen Kunst des 20. Jahrhunderts u. a. bei F. Léger, Balthus, A. Derain, F. Vallotton, S. Spencer und O. Gutfreund sowie bei Vertretern des Regionalismus und des Präzisionismus in den USA, aber auch in der Fotografie (A. Renger-Patzsch, A. Sander, P. Strand).
 
 
Wieland Schmied: N. S. u. mag. Realismus in Dtl. 1918-1933 (1969);
 F. Schmalenbach: Die Malerei der »N. S.« (1973);
 H. G. Vierhuff: Die N. S. Malerei u. Fotografie (1980);
 M. Angermeyer-Deubner: N. S. u. Verismus in Karlsruhe 1920-1933 (1988);
 S. Michalski: N. S. Malerei, Graphik u. Photographie in Dtl. 1919-1933 (1992);
 G. Presler: Glanz u. Elend der 20er Jahre. Die Malerei der N. S. (1992);
 
N. S. Bilder auf der Suche nach der Wirklichkeit, bearb. v. H.-J. Buderer, Ausst.-Kat. Städt. Kunsthalle Mannheim (1994);
 A. Fluck: »Mag. Realismus« in der Malerei des 20. Jh. (1994);
 M. Seelen: Das Bild der Frau in Werken dt. Künstlerinnen u. Künstler der n. S. (1995);
 
N. S. Österreich 1918-1938, bearb. v. K. Schröder, Ausst.-Kat. Kunstforum Bank Austria, Wien (Wien 1995).
 
Hier finden Sie in Überblicksartikeln weiterführende Informationen:
 
Verismus und Neue Sachlichkeit: »Weder rein sinnenhaft äußerlich noch rein konstruktiv innerlich«
 
 2) Literatur: aus der Kunstgeschichte übernommener Begriff für (zum Teil) ähnliche, in ihrer Bewertung allerdings bis heute kontrovers diskutierte Tendenzen: Im Gegensatz zum Pathos und der zwischen Untergangsvisionen und utopischen Idealisierungen schwankenden Geisteshaltung des (Spät-)Expressionismus suchten die Vertreter der Neuen Sachlichkeit nach einer künstlerischen Perspektive in der Auseinandersetzung mit der alltäglichen Wirklichkeit der Weimarer Republik. Die literarische Darstellung sozialer und wirtschaftlicher Probleme war bevorzugtes Thema, wobei tatsachenorientierte Darstellungsformen im Vordergrund standen: das dokumentarische Theater (E. Piscator), die neuen Medien Film (W. Ruttmann, R. Siodmak, E. Ulmer) und Rundfunk, die Reportage, die Biographie, der Gegenwartsroman, die Gebrauchslyrik. Wichtige Vertreter der Neuen Sachlichkeit waren u. a. B. Brecht, F. Bruckner, A. Döblin, H. Fallada, L. Feuchtwanger, E. Kästner, E. E. Kisch, S. Kracauer, W. Mehring, J. Ringelnatz und K. Tucholsky. Vielfach blieb die Neue Sachlichkeit allerdings nur Episode schriftstellerischen Schaffens, so bei Brecht, der nach anfänglicher Zustimmung bald eine ablehnende Haltung (»Neue Sachlichkeit«, 1928) zeigte und sich damit dem Urteil von W. Benjamin, G. Lukács, E. Bloch u. a. marxistisch orientierten Theoretikern anschloss, die der Neuen Sachlichkeit eine systemstabilisierende Funktion vorwarfen (während rechtskonservative Kreise die Politisierung der Literatur kritisierten).
 
 
K. Petersen: N. S., Stilbegriff, Epochenbezeichnung oder Gruppenphänomen?, in: Dt. Vjschr. für Lit.-Wiss. u. Geistesgesch., Jg. 56 (1982);
 
Weimarer Republik. Manifeste u. Dokumente zur dt. Lit. 1918-1933, hg. v. A. Kaes (1983);
 
Berlin - Provinz. Literar. Kontroversen um 1930, bearb. v. Jochen Meyer u. a. (1985).
 
 3) Musik: zwischen 1924 und 1929 aufgetretene antiromantische Richtung in Deutschland, die sich in einer die Technik zum Teil verklärenden Weise (z. B. in der Zeitoper »Maschinist Hopkins«, 1929, von Max Brand, * 1896,✝ 1980) an Idealen wie »Materialgerechtigkeit« und »Sachlichkeit« orientierte und den Unterschied zwischen absoluter und angewandter Musik leugnete.
 
Hier finden Sie in Überblicksartikeln weiterführende Informationen:
 
Verismus und Neue Sachlichkeit: »Weder rein sinnenhaft äußerlich noch rein konstruktiv innerlich«
 

Universal-Lexikon. 2012.

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